"Wenden - das meint zweierlei. Zunächst das Umkehren im Sinne der Richtungsänderung einer Bewegung. Oder eines geistigen Kurses. Nach dem Wörterbuch: eine Änderung der eigenen Lebensauffassung, Gewinnung einer neuen Weltsicht. Hier aber meint Wende auch ein Umkrempeln Warum sollte ein Körper gewendet werden?...Das ist nicht angenehm… Und doch kommen Menschen an Punkte, wo sie „irgend ein Inneres“ nicht mehr daran hindern können, sich zu äußern, Botschaft von sich zu senden, Ansprüche zu erheben. Ein inneres Anders-geworden-Sein zwingt - möglicherweise nach langem Widerstand doch noch - dazu eine innere Not endlich zu wenden, not-wendig zu werden. Das kann einem völligen Umkrempeln gleichkommen. Da wird man verwundbar, denn das nach außen Gewendete ist die direkte Konfrontation mit der Außenwelt nicht gewohnt... Was aber macht die Arbeiten von Sabine Harton eigentlich mitten in ihrer Schönheit so aufwühlend, was ist das Dunkle in ihrem vielen Weiß?
Da ist immer wieder die Leere, die Verlassenheit.
Die Körper, die wir hier sehen, künden viel von Abgeschiedenheit und lassen Schmerzen ahnen, verweisen dabei aber doch immer auf einen größeren Zusammenhang! Es geht eben nicht immer darum Materielles zu verabschieden, oder um sich ändernde Meinungen, Überzeugungen. Manchmal geht es ums Ganze. Wenn unsere innere Architektur ins Wanken gerät, das Bild, das wir von uns haben, nein, jetzt: „hatten,“ nicht mehr passt, in sich zusammenfällt…. das kann Angst machen, bis zu Todesangst.
Die Haut ist Metapher und gleichzeitig ganz reale Grenze nach außen. Bis zur Hautoberfläche ist ICH, da draußen beginnt die Welt. Das Kleid, die zweite Haut, kommuniziert also mit dem Körper, mit mir, und mit der Welt.! Schutz. Kommunikationsmittel. Sprechende Haut.
Sabine Harton zeigt uns Abgeformtes, Menschen-Körperhülsen, auch diese Kokons. Das ist zunächst rein stofflich, materiell, formal. Ein Gewebe, eine Struktur ist vielleicht erkennbar.
Aber der Kokon ist ein Schutz- und Wachstumsraum, ein Schwellenraum. Wenn er rechtzeitig, in der Reife verlassen wird, wird er nicht zum Sarg (...)
Haben sie mal einen zurückgelassenen (auch diese Zuschreibung taucht in einem Titel auf!) Häutungsrest gefunden? Sie werden instinktiv sofort gewusst haben: dies gehört zum Leben, es ist organisch, gewachsen. Und doch ein Zurückgelassenes. Ein jetzt Lebloses. Ein leeres Kleid.
Nicht das Gefundene wird dokumentiert, nicht einmal das Finden wird garantiert, Aber den Auf-Bruch - im wahrsten Sinn des Wortes, den lässt uns Sabine Harton. Als Aufforderung? Als Möglichkeit! Als Frage. als einen Schwellen-Raum."
Auszug aus der Eröffnungsrede von Mischa Drüner